Der Mund als Spiegelbild des Menschen

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Die systemische Kieferorthopädie behandelt nicht nur Zähne und Kiefer, sondern bezieht den ganzen Organismus mit ein.

Von Dr. med. dent. Beate I. Kreisel, Foto: creativ collection

 

Das biologische System Mensch besteht aus vielen Teilsystemen. Sie alle sind miteinander vernetzt und stehen untereinander in Wechselbeziehungen. Vor allem der Mundraum ist so intensiv wie kaum ein anderes Teilsystem mit dem übrigen Organismus verbunden. Das ist insbesondere während des Wachstums für Kinder bedeutsam. Ein Kiefer, in dem die Zähne genug Platz haben, gut stehen und gesund sind, kann sich ungestört entfalten. Das fördert das Atmen durch die Nase und damit die Sauerstoffversorgung von Gehirn und Muskeln. Auch das Immunsystem wird gestärkt. Das Kind wird weniger oft krank, hat mehr Spaß daran, sich zu bewegen, kann besser schlafen, sich besser konzentrieren und besser lernen.

Die ganzheitliche Kieferorthopädie behandelt daher nicht ausschließlich die Zähne, sondern das gesamte Kind. Ihr Ziel ist es, über den Mund die Harmonisierung der Körperfunktionen wieder herzustellen und die Entwicklung des Kindes auf natürliche Art und Weise zu fördern. Und das möglichst, ohne dass bleibende Zähne gezogen werden müssen.

Behandlung früh beginnen   

Die Stellung der Zähne ist ganz wichtig für die gesunde Entwicklung des Kindes. Fehlstellungen sollten deshalb so früh wie möglich erkannt und falls nötig behandelt werden. In der herkömmlichen Kieferorthopädie wird mit der Behandlung oft erst begonnen, wenn alle bleibenden Zähne da sind. Stehen dann die Zähne zu eng beieinander, werden nicht selten gesunde Zähne gezogen. Um das zu vermeiden, empfiehlt es sich häufig, mit der Kieferbehandlung bereits während der Hauptwachstumsphase des Kindes anzufangen.

Entsprechend beginnt die ganzheitliche Kieferorthopädie meist bei neun- bis zehnjährigen Kindern mit der Behandlung, in einigen Fällen auch schon im Vorschulalter. Ziel ist es, die Kiefer mit wachstumsfördernden und -begleitenden, meist herausnehmbaren Apparaturen behutsam zu vergrößern und so Platz für alle Zähne zu schaffen. Inzwischen gibt es auch sanfte festsitzende Spangen, die zum Einsatz kommen können. Außerdem geht es darum, dass Ober- und Unterkiefer in die richtige Lage zueinander kommen.

Selbstheilungskräfte statt Kraft von außen

Noch ein wichtiger Unterschied: Bei herkömmlichen kieferorthopädischen Apparaturen, etwa Metall-Brackets (feste Zahnspangen), werden die Zähne durch Kräfte von außen aktiv bewegt. Im Unterschied dazu schaffen die funktionell wirkenden Geräte der ganzheitlichen Kieferorthopädie – Bionator, Mundvorhoftrainer, Funktionsregler, Gebissformer oder diverse Aktivatoren – günstige Bedingungen, bei denen die regulierenden Kräfte der Selbstheilung in Gang gesetzt werden. Die Mundbewegungen werden durch Bewegungs- und Berührungsreize aktiviert und gesteuert. Welches Gerät bei der Kieferbehandlung zum Einsatz kommt, richtet sich vor allem danach, welche Fehlentwicklungen diagnostiziert wurden. Stellvertretend sei hier ein Beispiel näher erwähnt: der Bionator.

Bionator: Ein Turngerät für den Mund

Der Bionator setzt auf Stimulation, Förderung und Steuerung von Wachstum und Entwicklung der Kiefer und Zahnreihen. Das zierliche Gerät wird lose im Mund getragen. Er bewegt keinen Zahn aktiv, sondern korrigiert und schult alle Mundbewegungen. Gleichzeitig hat dieses funktionell wirkende Trainingsgerät positive Auswirkungen auf die gesamte Entwicklung des Kindes. Der Bionator hilft:

  • Kiefer-, Kopf- und Körperhaltung zu verbessern
  • die Wirbelsäule aufzurichten
  • die Muskulatur zu harmonisieren und zu entspannen
  • Verdauung und Stoffwechsel zu aktivieren
  • Lymphabfluss und Immunabwehr zu aktivieren
  • das Atmen durch die Nase zu fördern
  • die Mund- und Gesichtsästhetik zu verbessern
  • das Verhalten positiv zu beeinflussen (z.B. Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen)

Zahnärzte und Co-Therapeuten arbeiten zusammen

Um einen dauerhaften Erfolg zu gewährleisten, ist es notwendig, die kieferorthopädische Behandlung in ein ganzheitliches medizinisches Konzept einzubinden. Dabei können folgende Therapierichtungen sinnvoll sein:

  • Kraniosakral-Therapie, Osteopathie und andere manuelle Techniken helfen, Blockierungen zu lösen und die Beweglichkeit aller Gelenke wieder herzustellen.
  • Myofunktionelle Therapie und mund- und körpermotorische Übungen nach Padovan: Durch ihre Anwendung werden fehlerhafte Funktionen und Gewohnheiten im Mund-Gesichtsbereich, insbesondere Mundatmung, falsches Schlucken oder Sprachfehler beseitigt.
  • Eine homöopathische Begleittherapie unterstützt die Wachstums- und Formungskräfte: Sie fördert den jungen Patienten in seiner körperlichen, geistigen und seelischen Reifung.
  • Aber auch Lymphtherapie, Atem-, Stimm- und Sprechtherapie, Logopädie, Hals-Nasen-Ohren-Abklärung, Okkulometrie, Orthopädie, Physiotherapie oder Ernährungslenkung können Teil des gesamt-medizinischen Konzeptes sein.

Dr. med. dent. Beate I. Kreisel ist Zahnärztin mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Kinderzahnheilkunde. Sie betreut als Chefredakteurin die Fachzeitschrift „Systematische Orale Medizin“, die von der Internationalen Gesellschaft für Ganzheitliche Zahnmedizin (GZM) herausgegeben wird.

Auf der Webseite der GZM finden Interessierte eine nach Postleitzahlen geordnete Adressdatenbank systemisch arbeitender Zahnärzte und Kieferorthopäden. www.gzm.org