Gesundheitskompetenz früher und heute – Folge 2
Die entscheidende Rolle der Naturheilvereine
Von Prof. Dr. Karin Kraft,
Der Bericht wird in mehreren Folgen in den Impulsen abgelichtet werden.
Die Motivation für diese Artikelserie waren zwei Fragen, die sich aufgrund der Entwicklung der letzten Jahre ergeben haben, nämlich:
1. Was sind die Hintergründe für den großen Erfolg der Naturheilvereine Anfang des letzten Jahrhunderts?
2. Warum nimmt das Interesse der Bevölkerung an Naturheilvereinen in den letzten Jahren plötzlich so stark ab?
Erste naturheilkundliche Vereinsgründungen In den Wasseranstalten erfolgreich behandelte und von den Verfahren begeisterte Patienten gründeten Vereine, um sie in der breiteren Bevölkerung gerade auch über ihre praktische Anwendung bekannt zu machen. Allgemein waren Vereinsgründungen im Deutschen Bund in der Zeit nach der 1830er Revolution bis in die 1850er Jahre hinein jedoch großen Beschränkungen unterworfen, d.h. sie unterlagen einer strengen Aufsicht des jeweiligen Feudalstaates. Das galt auch bei Vereinen mit primär unpolitischen Zielen. Im Jahr 1832 entstand in Ansbach (Königreich Bayern) als erste deutsche Laienvereinigung der „Hydropathische Gesundheitsverein für ganz Deutschland“. Einer der drei Gründer, der Gymnasialprofessor Eucharius Ferdinand Christian Oertel, verfasste auch etliche Schriften, um der Bevölkerung die ihr von den Ärzten vorenthaltene Wasserheilkunde nahebringen. Er betrachtete die arzneiliche Heilkunde als System der Reichen und stellte die Wasserheilkunde (und eine gesündere Ernährung) als Methode der Armen gegenüber. Für letztere und auch die auf dem Lande lebende Bevölkerung war in dieser Zeit die Versorgung durch Ärzte und Apotheker aus finanziellen bzw. strukturellen Gründen mangelhaft. Der Verein war jedoch wegen des politischen Widerstandes wenig wirksam. Ähnlich erging es den von Oertel mitgegründeten bzw. angeregten „Filialvereinen“ in anderen Ländern des Deutschen Bundes. In Dresden entstand 1835 der erste „Hydrodiätetische Verein“ in Sachsen, der in den ersten 25 Jahren nur bis zu ca. 80 Mitglieder zählte. Die Vereinsstatuten von 1840 führten als Ziele vor allem die Gesundheitspflege der Mitglieder mit Wasser einschließlich des Trinkens von reinem Wasser, d.h. den Verzicht auf alkoholische Getränke, sowie eine mäßige Lebensweise auf. Die dortigen Ärzte blieben dem Verein jedoch fern. 1848 gründete der Militärarzt Dr. Lorenz Gleich in München den wegen der abnehmenden politischen Restriktionen etwas erfolgreicheren „Verein zur Förderung des Wasserheilverfahrens“. Ziel waren öffentliche Vorträgen zur Verbreitung der Methode. 1849 erwähnte er in einem Vortrag erstmals die Begriffe „Naturheilkunde“ und „Naturheilverfahren“ und definierte zugleich die Hauptaufgaben der Naturheilkunde:
1. Die instinktgemäße Erhaltung der Gesundheit und Verhinderung von Krankheiten durch eine vollkommen naturgemäße Lebensweise
2. die Wiederherstellung der Gesundheit durch Beseitigung jener Krankheiten, die aus irgendeinem Grund nicht hatten verhindert werden können. Der Verein wurde 1850 in „Verein zur Förderung des Naturheilverfahrens ohne Arznei“ umbenannt. Als Dr. Gleich 1851 den „Hydropathischen Kongreß“ in Dresden besuchte, stellte er fest, dass der dortige Verein vor sich hin dümpelte und nicht öffentlichkeitswirksam war. Das änderte sich, als Dr. jur. Wilhelm Meinert Vereinsvorstand wurde. Er litt, wie so viele, die sich der Naturheilkunde zuwandten, an einer chronischen Erkrankung und war nach jahrzehntelangen vergeblichen Therapieversuchen erst durch wiederholte Wasserkuren wieder leistungsfähiger geworden. Bei diesen Kuren stellte er fest, dass die MitpatientInnen über Gesundheitsbelange wenig oder gar nicht informiert waren und dass auch das spezifische Fachwissen bei den in den Wasserheilanstalten tätigen Ärzten deutlich ausbaufähig war. Mit Artikeln in der Lokalpresse im Jahr 1862 erregte er großes öffentliches Interesse, die Mitgliederzahlen des Vereins stiegen erheblich an. Im Jahr 1861 begründete er die Zeitschrift „Wasserfreund“, die er 1862 in „Der Naturarzt“ umbenannte, und gab sie bis 1867 auch selbst heraus. Der Jahrgang von 1863 umfasste bereits 324 Seiten. Seine weiteren Pläne (Bau einer Heilbadeanstalt, Mitarbeit von Ärzten im Verein, Bildung einer Akademie zur Qualifizierung von approbierten Ärzten zu Naturärzten), konnte er wegen fehlender Finanzierung nur sehr partiell verwirklichen.