Bei Rückenschmerzen wird oft vorschnell operiert, dabei lassen sich Eingriffe vermeiden – man muss allerdings selbst aktiv werden.

Von Horst Boss, Foto: creativ collection

Etwa zwei Drittel der Deutschen berichten, dass sie im vergangenen Jahr mindestens einmal unter Rückenschmerzen gelitten haben, darunter auch immer mehr Kinder und Jugendliche. In 64 Prozent der Fälle werden Medikamente verschrieben, gefolgt von Krankengymnastik (61 Prozent), Massagen (49 Prozent) und Spritzen (44 Prozent). Zwar bekommt man damit für den Moment die Schmerzen in den Griff; aber in 80 Prozent der Fälle treten sie danach erneut wieder auf. Für die Krankenkassen bedeutet dies, dass sie dafür jährlich knapp 50 Milliarden Euro berappen müssen. Rückenschmerzen führen – neben der psychischen Erschöpfung – am häufigsten zur Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung.

Fehlinterpretierte Warnsignale

Dabei handelt es sich bei vielen Rückenschmerzen lange Zeit meist lediglich um ein Warnsignal und nicht um Schädigungsschmerzen. Oft wird schnell geröntgt oder eine teure Kernspintomographie (MRT) veranlasst. Daraufhin wird dann nicht selten operiert, vielmals mit ungewissem Ausgang. Schnell stehen Diagnosen wie Arthrose, Kalkschulter, Karpaltunnelsyndrom, Hüfte, Bandscheibenvorfall. Der Punkt ist nur, dass diese Diagnosen in etwa 80 Prozent der Fälle gar nicht für die Schmerzen verantwortlich sind. Vielmehr sind es Dysbalancen am Muskel- und Sehnenapparat, die infolge von einseitigen Bewegungsabläufen und Fehlhaltungen im Alltag oder durch Unfälle entstehen.

Heute üben Menschen überwiegend eine sitzende Tätigkeit aus und bewegen sich immer weniger. Manchmal reicht schon ein unbewusst leichtes Anstoßen und die Sehnen und Muskeln verkürzen sich zum Schutz des Skeletts. Werden daraufhin die Gelenkflächen und Wirbelkörper zu stark zusammengepresst, dann kommt es langfristig zu einem Verschleiß an Knorpel, Bandscheiben und Knochen.

Auch wenn die Stresssituation vorbei ist, entspannen sich die verschiedenen Muskelgruppen trotzdem manchmal nicht mehr ganz und bleiben einseitig verkürzt. Der ungleiche Zug am Sehnen- und Muskelapparat ist dafür verantwortlich, dass die Gelenke plötzlich schwer laufen. Infolge entsteht der sogenannte Warnschmerz. In dieser Phase werden jedoch die allermeisten Diagnosen am Bewegungsapparat gestellt. Werden die ungleichen Zugverhältnisse allerdings manuell ausgeglichen, dann lösen sich viele Schmerzen meist schnell wieder auf.

Rückengerechtes Verhalten

Zur Vorbeugung gehört vorrangig ein rückengerechtes Verhalten. Das ist der Fall, wenn Beanspruchung und Belastbarkeit des Rückens im richtigen Verhältnis stehen. Heben Sie schwere Gegenstände keinesfalls in gebeugter Haltung, sondern stets aus der Hocke mit aufrechtem Rücken. Halten Sie dabei die Last nahe am Körper. Ansonsten belasten Sie Ihre Wirbelsäule unnötig um ein Vielfaches. Heben Sie nicht zu schwere Gegenstände. Wenn Sie sich mit der Last drehen, dann immer nur mit dem ganzen Körper. Drehen Sie sich nicht in der Hüfte. Benutzen Sie gegebenenfalls Handkarren oder Tragehilfen und verteilen Sie das Gewicht auf beide Hände und Arme. Damit wirken Sie der Blockierung von Wirbelgelenken, Muskelzerrungen und Muskelverspannungen, Bandscheibenvorfällen und Bandscheibenverschleiß, Bänderdehnungen, Sehnenscheidenentzündungen sowie eventuellen Knochenbrüchen entgegen.

Muskeltraining, aber richtig

Heute weiß man, dass eine schwache Muskulatur eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von chronischen Rückenbeschwerden spielt. Es genügt aber nicht, einfach wahllos die Rumpfmuskulatur zu trainieren. Oft werden die falschen Muskelgruppen trainiert, die sich dadurch noch mehr verkürzen und das Schmerzbild weiter verschärfen. Es geht darum, diese Muskelgruppen, die sich zum Beispiel auch durch permanente Fehlhaltung und einseitige Bewegungsabläufe verkürzen, manuell wieder zu verlängern, während die Gegenspieler, die in der Regel überdehnt sind, im Gegenzug entlastet werden.

Wird die ungleiche muskuläre Spannung vom Gelenk genommen, dann verschwindet der Schmerz wieder in etwa 80 Prozent der Fälle. Die Gelenke bewegen sich wieder gleichmäßig und stressfrei. Anschließend steht dem gezielten Aufbau der Muskulatur – unter fachkundiger Anleitung – nichts mehr im Weg. Dabei helfen zum Beispiel Physiotherapie, begleitende Übungen in Kursen und im Sportstudio, Rolfing, Behandlungen nach Liebscher-Bracht, Übungen mit dem Theraband oder die Dorn-Methode, um nur einige Möglichkeiten zu nennen.

Horst Boss ist Medizinjournalist und Heilpraktiker sowie Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Naturheilbundes eV
www.horstboss.de