Text: Monika Murphy-Witt; Foto: Pascoe
Oft merken wir selbst gar nicht, wie gestresst wir sind. Warum Selbstfürsorge so wichtig ist und wie sie gelingt.
Stress ist für viele heute ein Dauerzustand. Zunehmende Arbeitsverdichtung, ein lautes Umfeld, Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie – das alles führt dazu, dass immer mehr Menschen ständig angespannt, nervös und unruhig sind. Das Problem dabei: Die meisten merken es nicht. Erst wenn ihr Körper durch Beschwerden die Reißleine zieht, wird ihnen bewusst, dass sie zu lange nicht auf seine Signale geachtet haben.
„Wer in den verschiedenen Lebensbereichen, die uns gesund erhalten, nicht mehr aufmerksam selbstfürsorglich ist, riskiert, dass die Rhythmen seines Körpers entgleisen“, sagt Dr. Anna Paul. Die Gesundheitswissenschaftlerin leitet den Bereich Ordnungstherapie, Mind-Body-Medicine und Integrative Onkologie in der Abteilung Naturheilkunde und Integrative Medizin im Knappschaftskrankenhaus an den Kliniken Essen-Mitte.
Damit es gar nicht erst so weit kommt, sollten Betroffene rechtzeitig gegensteuern. Voraussetzung dafür ist jedoch, sich selbst einzugestehen, dass einem die Belastungen zu schaffen machen. Frühwarnsignale für zu viel Stress sind zum Beispiel die fehlende Lust auf Bewegung und die Abnahme sozialer Kontakte. Auch wer das Essen vergisst und nur noch Kaffee trinkt oder wer ständig Süßigkeiten und andere ungesunde Sachen isst, sollte aufmerksam werden.
Entspannung kann man lernen
Noch wichtiger ist es, in sich selbst hinein zu spüren, die Belastung zu bemerken und für Entspannung zu sorgen. „Zu lernen, die eigenen Signale wahrzunehmen und liebevoll damit umzugehen, ist der beste Weg, um Stressoren entgegenzuwirken“, betont Anna Paul. „Wenn man den Körper aktiv in Ruhe versetzt, gibt man ihm Zeit und Raum, um seine Arbeit zu machen und sich selbst wieder zu regulieren.“
Eine gute, alltagstaugliche Möglichkeit dafür ist zum Beispiel eine Gehmeditation. Dabei wird jeder Schritt mit einem Atemzug verbunden. Oder man konzentriert sich eine Minute lang nur auf den Atem, am besten über den Tag verteilt immer mal wieder. Dafür am Handy die Stoppuhr stellen, die Augen schließen und bewusst ein- und ausatmen. „Dabei bleiben, auch wenn nach drei Sekunden die To-Do-Liste auftaucht und nach zehn Sekunden schon auf die Uhr geschielt wird“, rät die Expertin. „Durch regelmäßiges Üben trainiert man seinen Entspannungsreflex auf. Der ist bei den meisten verkümmert. Damit er wieder funktioniert, muss man ihn regelmäßig fordern. Entspannung kann man lernen, wie Klavier spielen.“
Wer große Schwierigkeiten hat, in die Entspannung einzusteigen, kann sich selbst mit einem pflanzlichen Heilmittel unterstützen. Das kann extreme Unruhe und Anspannung abbauen und so dabei helfen, die Reiz-Reaktions-Starre, in die der Körper bei großem Stress fällt, aufzulösen.
Nicht jede Methode passt
Entspannungsmethoden sind in der Regel von der eigenen Biografie abhängig. Wer als Kind eine Spieluhr zum Einschlafen hatte, findet oft über Entspannungs-CDs mit Musik den Einstieg. Wer viel gekuschelt wurde, kommt vermutlich mit Methoden, die die Körperwahrnehmung üben, gut zurecht. Das können etwa progressive Muskelentspannung oder ein Body Scan sein, eine Entspannungstechnik, bei der man in Gedanken durch den Körper reist.
Letztendlich muss jeder selbst ausprobieren, womit er sich wohl fühlt. „Wenn man sehr gestresst ist, zeigt wahrscheinlich keine Methode sofort eine Wirkung. Aber vielleicht spürt man bei etwas ein vertrautes Gefühl. Dann sollte man das regelmäßig wiederholen“, sagt Mind-Body-Medizin-Expertin Anna Paul. Meist merken Betroffene erst, wenn sie in eine Entspannung gehen, wie angespannt sie sind. Das sei schon ein erster Erfolg, so Paul. „Das Wichtigste, um loszulassen, ist Absichtslosigkeit. Etwas haben zu wollen, ist der größte Stressor.“
Monika Murphy-Witt ist freie Journalistin und ganzheitliche Gesundheitsberaterin. Sie schreibt regelmäßig über Gesundheitsthemen und
komplementäre Heilmethoden.