Bericht von der 13. Priessnitz Konferenz 5.-7. Oktober in Jesenik/Tschechien von Nora Laubstein (ANME u. DNB)

Balneotherapie = Wassertherapie + X im Badezimmer?

Das Hauptthema der diesjährigen Konferenz war von den Veranstaltern, der Spolecnost (Gesellschaft) Vincenze Priessnitze z.s. und der Priessnitz Heilbad AG (Priessnitzovy lecebne lazne a.s.), wie folgt definiert: „Die Geschichte und die Gegenwart der Badekur in Mitteleuropa“.

Der Vorsitzende der „Gesellschaft Vincenz Priessnitz“, Dr. Jaroslav Novotny eröffnete die Konferenz mit seinem Vortrag über die Wirkung von Balneotherapie bei psychisch Erkrankten. Grundlage seiner Studie war der Knobloch-Fragebogen No5, mit dem allerdings keine eindeutigen Ergebnisse einer einzelnen Maßnahme gemessen werden konnten. Die 2017 durchgeführte Studie startete mit 100 Patienten, am Ende verblieben 69 Personen. Bei allen TeilnehmerInnen handelte es sich um Angststörungen, die mit 33 Fragen um subjektive Verbesserungen abgefragt wurden. Die ganze Zeit über wurden keine Änderungen der bestehenden pharmazeutischen Medikation vorgenommen.
Die Kosten für diese qualitative Forschung müssen die Kureinrichtungen selber tragen, obwohl die Depression zurzeit die häufigste Erkrankung in Tschechien darstellt. Um wenigstens die Behandlungskosten der Patienten erstattet zu bekommen muss ein Psychiater die stigmatisierende Diagnose stellen. Neben den heilsamen Bedingungen eines Kurortes (Klima, Umgebung, Renommee) gehören Spaziergänge, gesellschaftliche Aktivitäten zu den unerlässlichen Faktoren bei einer hydrotherapeutischen Behandlung. Solch eine Behandlungsdauer beträgt 21 bis 28 Tage, gilt als medizinische Behandlung, und wird bei vorliegender Verordnung eines Psychiaters voll vom staatlichen System bezahlt. Diese Form der Behandlung dient als Alternative zur klinischen Einweisung in die Psychiatrie.
Alle folgenden Vorträge bewiesen die moderne Vielfalt balneotherapeutischer Anwendungs- und Kombinationsmöglichkeiten.
Der Historiker Vladan Hanulik verwies z.B. auf die Epoche der Romantik mit magischen Naturvorstellungen, Idealisierung und einer „verzaubernden Landschaft“. Es herrschte eine Philosophie der natürlichen Form und des nackten Patienten, der die Natur genießt.
Wie viel originalen Priessnitz gibt es heute noch? Dieser Kultur-historische Aspekt bildete einen Gegenpol zu den Vorträgen medizinisch-orientierter Referenten. So liegen über 3000 Patientenbrief im Archiv, das die Stadt Jesenik sorgfältig pflegt und Interessierten öffnet. Neben der Förderung des Museums und dem Mausoleum (Grabmal und Ruhestätte) unterhält die „Gesellschaft Vicenz Priessnitz“ seit über sechs Jahren einen intensiven Austausch mit dem „Deutschen Naturheilbund“ (DNB), ehemals Priessnitz-Bund. Neben den tschechischen KonferenzteilnehmerInnen stellte der DNB eine deutsche Delegation. Deren Repräsentantin, die 2. Vorsitzende Ursula Gieringer überbrachte mit ihrem Vortrag zum DNB- Jahresthema „Rhythmen der Natur“ ihre Verbundenheit zur Lehre von Priessnitz zum Ausdruck. Heutzutage ist z.B. eines der Priessnitzschen Prinzipien unter dem Begriff des „Resilienztrainings“ politisch relevant: Weg von der Fremdregulation und hin zur Selbstregulation!

Perspektiven – Was bedeutet dies nun für die Balneo- bzw. Hydrotherapie?
Die Ausgangslage für Anwender und Anbieter hat sich völlig verändert. Naturheilvereine, Kneippvereine, einzelne Bürger haben zwar weiterhin Zugang, haben jedoch große Schwierigkeiten die Traditionen fortzuführen (Alter, gesetzliche Vereinsstrukturen, Freizeitverhalten, Ehrenamt, etc.). Anbieter müssen heute strenge Vorschriften in vielen Bereichen befolgen, dokumentieren und Verbraucherrechte/Patientenrechte befolgen.
Wie alle naturheilkundlichen Leistungen und Angebote wird auch die Balneotherapie neu bewertet und nach schulmedizinischen Kriterien beurteilt (EBM-Evidenz-basierte Medizin). Zugleich wurden die Krankenkassen in einen wirtschaftlichen Wettbewerb versetzt. Unter dem Deckmantel von „Modernisierung“ und „Verbesserung“ setzte eine Kostenumverteilung ein: Die Geräte- und pharmazeutische Industrie, sowie die Zentralisierung von Einrichtungen erhielten oberste Priorität.
– Die staatlichen Sozialsysteme, der sogenannte 1. Markt, strichen die Finanzierungen, die Gemeinden bauten neue öffentliche Schwimmbäder, die alten Kuranlagen verfielen und konnten den neuen Bauvorschriften selten genügen. Zugleich entwickelten die Menschen ein “Freizeit und Spassbedürfnis“ und entfernten sich so mehr und mehr von der klassischen reinen Lehre der Hydrotherapie.
– Der private Gesundheitsbereich, der 2. Markt, entwickelte eine eigene innovative Dynamik. Alles das, was aus der staatlichen Erstattungspraxis herausfiel, oder den staatlichen Anforderungen nicht genügte, fand hier eine Heimat. Private Krankenversicherungen, Zusatzversicherungen oder Eigenfinanzierung fördern eine individuelle gesundheitsbezogene Entwicklung.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO definierte „Gesundheit“ neu und sprach unter anderem von „Wellbeing / Wohlempfinden“, woraus ein neuer Begriff, die WELLNESS entstanden ist. Das Sich-wohl-fühlen wurde eng begleitet von FITNESS, fit zu werden, zu sein, zu bleiben!
Fazit: Von den angekündigten 100 Zuhörern waren etwa 20% erschienen. Jesenik als Tagungsort liegt schwer erreichbar im Osten Tschechiens, nahe der polnischen Grenze. Von daher gab es nur sehr wenige nicht-tschechische Gäste. Ob Xenophobie auch eine der häufigen Angststörungen in Tschechien darstellt? Vor 170 Jahren war Vincenz Priessnitz ein Bürger der K.u.K. Monarchie Österreich-Ungarn und er behandelte Menschen aus ganz Europa…da gab es noch keine Autos und Flugmaschinen. Das Schicksal seiner Wasserkuren verweist auf eine wachsende Herausforderung der CAM: Sowohl die Akzeptanz des Originals durch die Anwender und Patienten, als auch die Folgen von Neubewertung und Kosten/Nutzen-Berechnung stoßen auf Widerstand.
Nora Laubstein, Präsidium Deutscher Naturheilbund eV

BU: In der Bildmitte die DNB-Referent/innen Ursula Gieringer, Nora Laubstein und Horst Boss